Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen (بسم الله الرحمن الرحيم)
Im Islam spielt die Suche nach dem eigenen Selbst eine zentrale Rolle, besonders wenn es um die Verwirklichung des wahren Zwecks im Leben geht – Allahs Wohlgefallen zu erlangen. Der Prozess der Selbstverwirklichung ist tief im spirituellen und psychologischen Verständnis des Islams verwurzelt und beschäftigt sich mit zwei Aspekten des Selbst: dem realen Ich und dem wahren Ich. In der islamischen Psychologie werden diese beiden als das Nafs (Ego) und das Ruh (Seele) verstanden.

Das Reale Ich: Das Nafs
Das Nafs beschreibt unser „reales Ich“ – unser Ego oder Selbst, das von unseren Begierden und Emotionen beeinflusst wird. Im Islam wird das Nafs oft als egozentrisch und triebgesteuert gesehen und kann durch verschiedene Eigenschaften wie Wut, Eifersucht, Gier und Stolz geprägt sein. Es steht für die niederen Neigungen, die den Menschen auf seiner spirituellen Reise herausfordern und vom Weg abbringen können.
Die islamische Psychologie beschreibt das Nafs in mehreren Stufen, die alle durch das Streben nach spiritueller Läuterung überwunden werden können:
Nafs al-Ammara (Das befehlende Selbst): Dies ist das niedrigste Niveau des Nafs. Es ist stark von Begierden und weltlichen Neigungen geprägt und neigt dazu, den Menschen zu schlechten Taten zu drängen.
Nafs al-Lawwama (Das selbstanklagende Selbst): Auf dieser Stufe beginnt der Mensch, seine Fehler zu erkennen und sich selbst dafür zu kritisieren. Es ist ein Bewusstsein entstanden, das Sünde und Unrecht erkennt, auch wenn die Überwindung dieser Neigungen noch schwierig ist.
Nafs al-Mutma’inna (Die beruhigte Seele): Das höchste Niveau des Nafs. In diesem Zustand hat der Mensch inneren Frieden gefunden und ist zufrieden mit dem Willen Allahs (ﷻ). Die beruhigte Seele ist nicht mehr von ihren Begierden beherrscht, sondern hat Frieden durch Nähe zu Allah (ﷻ) gefunden.
Diese Stufen zeigen, dass das Nafs nicht statisch ist. Der Mensch kann das Nafs durch Bewusstsein, Selbstreflexion und Tazkiyah (Selbstreinigung) zu einem friedlichen und ausgeglichenen Zustand bringen.

Das Wahre Ich: Das Ruh
Im Gegensatz zum Nafs steht das Ruh – die reine Seele, die Allah (ﷻ) uns eingehaucht hat. Das Ruh symbolisiert unser „wahres Ich,“ das von Allah (ﷻ) inspiriert und geführt wird. Es ist die spirituelle Essenz, die frei von egoistischen Neigungen und irdischen Verlangen ist und einzig auf die Nähe zu
Allah (ﷻ) ausgerichtet ist.
Während das Nafs mit der physischen Welt verbunden ist und oft den menschlichen Egoismus betont, ist das Ruh die Quelle unseres inneren Friedens und unserer spirituellen Stärke. Das Ruh strebt danach, sich Allah (ﷻ) zu nähern und Frieden im Herzen zu finden. Es ist das reine Bewusstsein, das über unsere niederen Begierden hinausgeht und uns zur wahren Selbstverwirklichung führt.
Selbstverwirklichung im Islam bedeutet, das Nafs zu überwinden und das Ruh freizulegen. Dieser Prozess erfordert eine bewusste Läuterung und das Streben danach, negative Eigenschaften wie Stolz, Neid und Selbstsucht zu überwinden, um positive Eigenschaften wie Geduld, Demut und Dankbarkeit zu entwickeln.
Ein wichtiger Teil der islamischen Selbstverwirklichung ist Tazkiyah, die Reinigung des Herzens und die Läuterung der Seele. Tazkiyah bedeutet, das Herz von schlechten Eigenschaften zu reinigen und es auf das Wohlgefallen Allahs auszurichten. Dieser Prozess umfasst verschiedene Praktiken wie:
1. Selbstreflexion: Regelmäßiges Nachdenken über das eigene Verhalten und die Motive hinter den eigenen Taten.
2. Gebet und Dhikr (Erinnerung an Allah): Ständiges Gedenken an Allah (ﷻ) und das Vertrauen in Seine Führung helfen, das Ego loszulassen und sich auf das Ruh auszurichten.
3. Geduld und Selbstbeherrschung: Bewusstes Training, um Begierden und Zorn zu kontrollieren und den inneren Frieden zu fördern.
4. Dankbarkeit und Demut: Entwicklung eines demütigen Herzens und das Bewusstsein, dass alle Gaben von Allah (ﷻ) kommen.
Indem der Mensch diese Praktiken regelmäßig übt und sein Nafs bewusst reinigt, findet er den Weg zum wahren Ich – dem Ruh.
Wahre Selbstverwirklichung im Islam bedeutet, nicht nur das eigene Potenzial zu entfalten, sondern sich von den egoistischen Neigungen des Nafs zu lösen und sich mit der Reinheit des Ruh zu verbinden. Der Mensch erkennt seinen Wert und seine Verantwortung in der Schöpfung Allahs (ﷻ) und erfüllt seinen Lebenszweck, indem er sich Allah (ﷻ) hingibt.
Selbstverwirklichung ist im Islam daher kein egoistisches Streben, sondern ein Weg der inneren Läuterung und des Dienens. Der Mensch erreicht wahre Erfüllung, indem er das Licht des Ruh entfaltet und sich mit Allahs (ﷻ) Führung verbindet. Indem wir unseren Platz in der Schöpfung verstehen und dem höheren Ziel dienen, erfahren wir innere Zufriedenheit und Frieden.
Selbstverwirklichung im Islam ist ein lebenslanger Weg des Wachstums und der Hingabe. Sie beginnt mit der Erkenntnis der eigenen Schwächen und endet in der inneren Ruhe, die nur durch Nähe zu Allah (ﷻ) erreicht wird. Die Reise von unserem realen Ich zum wahren Ich führt zu einem Leben voller Frieden und Harmonie – ein Leben, das im Einklang mit Allahs (ﷻ) Willen steht.
Möge Allah uns alle auf unserem Weg zur wahren Selbstverwirklichung leiten und uns helfen, unser Ruh zum Leuchten zu bringen.